In Deutschland werden in den nächsten fünf Jahren rund 320.000 neue Wohnungen gebraucht. Helfen sollen dabei Fertigbauteile und serielles Bauen. Was bedeutet das für die Bauphysik?
Im vergangenen Jahr entstand mehr als jede zehnte Neubauwohnung mithilfe von Modulbauteilen. Wer in Deutschland zeit- und kostendruckbedingt schneller Wohnraum schaffen will, setzt zunehmend auf vorgefertigte Bauteile und Typenhäuser. Für Architektinnen, Bauphysiker und Planende ergeben sich daraus nicht nur neue Chancen, sondern auch veränderte bauphysikalische Anforderungen.
Neue Anforderungen an thermische Bauphysik
Serieller Wohnungsbau – typisiert, vorgefertigt, standardisiert – bringt Vorteile wie kürzere Bauzeiten und geringere Montagekosten. Gleichzeitig resultieren daraus spezifische bauphysikalische Implikationen:
- Wärmeschutz und U-Werte: Vorfertigung erfordert standardisierte Wand-, Decken- und Fassadenelemente mit vorab definierbaren U-Werten. Planer müssen in der Serienplanung schon früh die Detailplanung der Wärmebrücken im Blick haben, um Bauteilanschlüsse bei der Vorfertigung vorzubereiten.
- Sommerlicher Wärmeschutz: Große Fenster, modulare Elemente oder leichtgewichtige Konstruktionssysteme können das Risiko sommerlicher Überhitzung erhöhen. Bei Seriengebäuden muss bereits im Typenkonzept der sommerliche Wärmeschutz mitgedacht werden.
- Feuchte- und Hygrothermik: Die Verwendung industriell vorgefertigter Bauteile erfordert lückenlose Dichtigkeits- und Feuchtekonzepte – einen einmaligen Fehler im Typenbau multipliziert sich schnell. Andernfalls können Anschlüsse viel sauberer und ohne Witterungseinflüsse vorgefertigt werden, so dass die zusätzliche Feuchtebelastung während der Bauzeit reduziert werden kann. Die thermische Bauphysik muss hier von Beginn an eingebunden sein.
- Lebenszyklusorientierung: Serienfertigung kann kostengünstigere Komponenten bringen, aber die Qualität (z. B. Lebensdauer, Instandhaltung, Materialwechsel) darf nicht darunter leiden – Lebenszyklusanalysen werden wichtiger. Insbesondere die Rückbau- und Recyclingfähigkeit von Baukonstruktionen kann schon bei der Produktion berücksichtigt werden.
Für die Bauphysik bedeutet dies: Die Nachweiserstellung erfolgt bereits in der Konzept- und Typenplanungsphase für einzelne Gebäudetypen, nicht erst im Einzelfall. Standardisierte Typenteile eignen sich für optimierte Prozesse, benötigen aber robuste bauphysikalische Validierung, die bei Bedarf auf den Einzelfall angepasst werden müssen.
Auch in der Bauakustik ergeben sich durch Serien- und Modulbauweise spezifische Effekte:
- Schalldämmung und Serienqualität: Vorfertigung ermöglicht gleichmäßigere Bauteilqualität, etwa bei vorgefertigten Schallschutzwänden oder Deckenmodulen. Damit steigt das Potenzial, akustische Anforderungen früh zuverlässig zu erfüllen.
- Modulanschlüsse und Übergänge: Die Übergänge zwischen vorgefertigten Elementen (Fugen, Verbindungen, Stöße) sind akustische Schwachstellen: Luftschall und Körperschall können leichter übertragen werden, wenn Anschlüsse nicht exakt geplant sind.
- Trittschall und Schwingungsübertragung: Modulbausysteme mit flächigen Elementen führen gegebenenfalls zu anderen Körperschallmechanismen als traditioneller Massivbau. Hier sind Akustiknachweise im Vorfeld erforderlich.
- Qualitätssicherung in der Serie: Standardisierte Bauteile erlauben Prüfreihen und optimierte Prozesse. Planende können vom Serienzugang profitieren, sofern die Akustik-Details bereits in der Fertigung berücksichtigt werden.
Was bedeutet das für Bauherren?
- Schneller Bau- und geringere Montagekosten: Beispielweise konnte beim seriellen Bau bereits ein Rohbau in sechs Wochen errichtet werden.
- Kostensenkung: Das Einsparpotenzial ist signifikant, wobei die Höhe stark vom Skaleneffekt (Anzahl der Wiederholungen) und der Marktlage abhängt. Studien nennen Einsparungen von etwa 300–400 €/m² im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise. Die Reduktion entsteht primär durch effizientere Prozesse, kürzere Bauzeiten (weniger Zinskosten) und geringere Baustelleneinrichtungskosten, weniger durch günstigere Materialien.
- Planungssicherheit: Vorfertigung bietet bessere Kalkulationsgrundlagen, weniger witterungsbedingte Baustellenrisiken sowie kürzere Bauzeiten.
- Fördervorteile: Seriell geplante Gebäudetypen können schneller förderfähig sein – gute Voraussetzungen für Energieeffizienzprogrammierungen, Typenzertifizierungen etc.
- Damit die Kosten- und Zeitvorteile auch wirklich zum Tragen kommen, müssen die Bauherren ihre Bauphysikpartner frühzeitig in die sorgfältige Planung von Übergangsstellen, Sonderanschlüssen oder individuellen Nutzungen im Typenbau einbinden, um Nacharbeiten oder Qualitätsverluste zu verhindern.
Fazit: Serielles Bauen bietet echte Chancen, wenn bauphysikalische Anforderungen von Anfang an integrativ gedacht werden. Von Wärme- und Feuchteschutz über akustische Qualität bis hin zur Lebenszyklusanalyse gilt: Typisierte Planung ersetzt nicht individuelle Sorgfalt. Im Gegenteil: Standardisierung verlangt eine robuste Planungs- und Qualitätssicherung. Wer diese Anforderungen im Griff hat, kann schneller, kostengünstiger und mit hoher Qualität Wohnraum schaffen.